Wir fangen mal ganz vorne an: Wahrscheinlich ist jeder*m spätestens im Kunstunterricht mal ein Farbkreis begegnet. Man kann ihn auch Farbenkreis, Farbtonkreis, Bunttonkreis oder Farbrad nennen. Er gilt als Ordnungssystem, um Farben auf eine bestimmte Weise anzuordnen. Nun gibt es allerdings nicht DEN einen Farbkreis, der allgemeingültig ist: Je nachdem unter welchem Gesichtspunkt er erstellt wurde unterscheidet er sich hinsichtlich seiner Ausführung und Deutung. Er kann Grundlage, aber auch Ergebnis bestimmter Farbenlehren sein.
So kann man ästhetische, künstlerische, physikalische, physiologische, psychologische und technische Aspekte berücksichtigen.
Hier sehen wir bspw. den Farbkreis nach Johannes Itten, der als Kunstpädagoge, Kunsttheoretiker und Maler aus künstlerischer Sicht versuchte, die Zusammenhänge der Farben verständlich abzubilden. Er unterteilte die Farben in Primär-, Sekundär- und Tertiärfarben und stellte sie in Beziehung zueinander. Kritik erntete er unter anderem für das Betiteln der "Nicht-Farben" Schwarz und Weiß als solches und deren Fehlen im Farbkreis.
Goethe hingegen versuchte das Phänomen Farbe ganzheitlich zu begreifen und zu beschreiben. Sein Farbenkreis ist Ergebnis seiner über mehrere Jahre hinweg gemachten Überlegungen, Literaturstudien und Versuche über das Wesen der Farbe. Mit seinen "Widerlegungen" zur damaligen vorrangig naturwissenschaftlichen Sicht auf Farben befand er sich allerdings auf dem Holzweg. Auftrumpfen konnte er jedoch mit seinen Erkenntnissen zur Farbwahrnehmung, die heute als Teilbereich des Sehens gilt.
Wie wir sehen, liegt nicht nur Schönheit im Auge des Betrachters. Sucht man allerdings nach Schlagwörtern wie "Farbsymbolik" oder "Farbwirkung" stößt man auf allerlei aufregende Interpretationen und Deutungen, die vor allem eins gemeinsam haben: Sie erwecken den Anschein, als wären sie allgemeingültig.
Blau gilt als "kalte" Farbe, die beruhigend und distanziert wirkt, sie strahlt allerdings auch Seriösität und Sehnsucht aus. Rot gilt als "warme" Farbe und steht einerseits für Liebe und andererseits für Aggression, ist außerdem die Farbe des Blutes und des Feuers. Grün ist die Farbe der Natur, des Glücks und der Hoffnung - aber auch des Neids, der Eifersucht und des Gifts. Weiß steht für Reinheit, Licht und Frieden, Alles und Nichts... Ich könnte ewig so weitermachen.
Was aber nun?
Nichts davon ist falsch! Jeder Aspekt hat seine Daseinsberechtigung und jede Farbenlehre verdient es beachtet zu werden - und reflektiert. Wir sollten uns deshalb regelmäßig vor Augen führen, dass trotz gewisser Lehren die Farbwirkung nicht nur eine sehr individuelle Angelegenheit, sondern auch eine kulturelle und entwicklungsbedingte ist! Statt von Farbsymboliken und -wirkungen sollten wir lieber anfangen von Empfindungen und über Qualitäten zu sprechen. Wir können Helligkeiten, Farbtöne, Nuancen und Sättigungen beschreibend benennen - auch wenn selbst hier nicht garantiert ist, dass jedes Auge das Gleiche sieht. Und wenn klar ist, dass jede*r eine Farbe anders empfindet und Unterschiedliches mit ihr verbindet, bietet sich von Vornherein weniger Potenzial für Missverständnisse, dafür aber mehr für Sprachanlässe.
Besondere Vorsicht ist vor allem bei wohlwollenden, oft gut gemeinten Interpretationen oder Deutungen geboten, wenn es um die Farbwahl in Bildern geht - und das ganz unabhängig davon, ob der*die Malende ein Kind oder erwachsen ist.
Die individuelle Farbempfindung setzt sich aus drei Aspekten zusammen:
1. Kulturell [welche Farben werden in meiner Kultur für welche Dinge verwendet?]
2. Symbolisch [welche Verknüpfungen habe ich durch Erziehung & Mode, also gesellschaftliche Handlungen gemacht?]
3. Psychologisch [welche Assoziationen habe ich durch meine ganz persönlichen Erfahrungen gebildet?]
Wenn wir bedenken, welche unterschiedlichen Bedeutungen eine Farbe schon allein innerhalb einer Gemeinschaft haben kann [steht das Rot jetzt für wärmende Liebe oder blutrünstige Aggression?] ist es nicht verwunderlich, dass es über dem Tellerrand nicht anders aussieht. In unseren Breitengraden steht Schwarz [unter anderem, ha!] für Trauer, Leid und Tod - in Asien hingegen bedient man sich der [Nicht-]Farbe Weiß, die hier zu Lande ja unter anderem eher dem freudigen Ereignis Hochzeit zugeschrieben wird. Die widerum wird in China eher durch die Farbe Rot gefeiert, die dort auch Glück, Freude, Wohlstand und Reichtum symbolisieren kann. Sieht man hingegen in Südafrika "rot", so gibt das Anlass zu Trauer und Leid.
Was aber heißt das nun für die frühkindliche Malerei, die sich im tiefen Schwarz ausdrückt, die schwarze Bilder produziert und nicht in "strahlenden, unterschiedlichen" Farben? Nichts! Naja, nicht ganz Nichts. Aber es heißt erstmal nicht mehr und nicht weniger, als dass Schwarz den größten Kontrast zum meist weißen Papier bildet. Dass man unter schwarzer Farbe meist alle anderen Farben [oder wer darf: Auch Gegenstände, Haut und andere Materialien] verschwinden lassen kann. In der ästhetischen Entwicklung bestimmt vor allem zu Beginn der Zufall die Farbwahl; es wird experimentiert, ausprobiert und erforscht. Dann allmählich entwickeln sich persönliche Präferenzen: Mit steigender Kenntnis über die Farbpalette benennen Kinder Lieblingsfarben, die sie - meist phasenweise - gern bevorzugt benutzen. Aber auch hier ist es in erster Linie ein Spiel mit Farben, Formen und Flächen. Und auch ein grünes Pferd hat seine absolute Daseinsberechtigung, denn im Rahmen der Schemaphase dreht sich Vieles um das Verstehen & Erklären, aber insbesondere um eigene Vorstellungen der Welt: Vielleicht hat das Pferd ganz einfach nur viel frisches Gras gefressen. Oder aber vielleicht ist seine Lieblingsspeise auch Wackelpudding mit Waldmeistergeschmack.
All das finden wir nur heraus, wenn wir mit den [kleinen] Künstler*innen ins Gespräch gehen und achtsam über die Gestaltungen sprechen.
Was aber, wenn Künstler*in nicht drüber reden möchte oder noch nicht kann? Dann heißt es: Augen auf im Alltag! Sollten sich "andere Auffälligkeiten" (wie bspw. gravierende Veränderungen im Verhalten) zeigen, so ist es ratsam, weiterhin ein Auge auch auf die kreativen Schöpfungen des Kindes zu haben und sich ggfs. Notizen zu machen. Halten diese über einen längeren Zeitraum an, sollte man in jedem Fall mit geschultem Fachpersonal (optimalerweise Kunst- oder Mal-Therapeut*innen, Psychiater*innen und/oder Psycholog*innen, so wie Psychotherapeut*innen sind leider oft nicht ausreichend geschult) in Kontakt treten (und keinesfalls voreilige Schlüsse ziehen oder gar Analysen oder Interpretationen walten lassen). Schöpferisches Tun ist immer nur ein Hin-, aber nie Beweis!
Die Farbe an sich ist hier übrigens zweitrangig - die oben genannte Handlungsempfehlung gilt natürlich auch für "allerlei Auffälligkeiten in allerlei Farben".
Vielleicht hilft für den Anfang die Frage an sich selbst: Würde es mich auch beunruhigen, wenn es sich um rote statt schwarzer Farbe handeln würde? Gelbe? Blaue? Grüne? Orange? Pink? Lila? Weiß? ....
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